HU Tobacco
Gran Reserva Limitada 2 años
Rocinante
Hans Wiedemanns Kreationen stoßen nicht nur bei mir auf große Begeisterung,
überrascht muss ich in letzter Zeit feststellen, dass immer mehr unserer
amerikanischen Pfeifenfreunde die Blends des „deutschen Pease“ als ihren
Lieblingstabak angeben. Gehört habe ich es jetzt schon öfter in den Podcasts
der Pipes Magazine Radio Show oder aber auch in der Country Squire Radio
Show, wobei letztere nun nicht mehr on air oder on wire ist…
Muss ich mir da jetzt Gedanken machen? Ich hoffe nicht.
Hans konzentriert sich nun mehr auf das Blenden und hat seine Vermarktung an
Kopp weitergegeben, die auf Grund ihrer Unternehmensgröße besser mit den
Vorschriften zur Nachverfolgung zurechtkommen und das Track & Trace-
System wirtschaftlich stemmen können. Vor fünf Jahren hat er zusammen mit
Thomas Nitsches von Kopp eine Serie auf von drei Tabaken entwickelt, deren
ursprünglicher Charakter durch einen aufwendigen Reifeprozess derart verändert
wurde, dass sie einem gealterten Tabak gleichkommen. Die Rede war da von einer
Lagerung in einer Klimakammer mit erhöhter Temperatur und Luftfeuchtigkeit für
zwei Jahre. Dass diese Tabake was teurer sind, kann man sich bei dem Aufwand
vorstellen. Daher hatte ich sie nicht für mich in Betracht gezogen. Heute, fünf Jahre
zwei Krisen und eine Zeitenwende später spielt der Unterschied kaum noch eine
Rolle.
Hans hat dieser Serie einen spanischen Touch verliehen, gemäß den bekannten
Gran Reserva-Weinen, die die Krönung eines jeden Winzers auf der iberischen
Halbinsel darstellen. Zwei Jahre gelten nun für einen Wein nicht als besonders alt,
für einen Tabak kann es bei dieser Behandlung schon was ausmachen.
Man kann sich vorstellen, dass in einem solchen Klima-Schränkle nicht unbegrenzt
viel Tabak eingelagert werden kann, was den Zusatz limitada erklärt. Bei der
Namensgebung ist er gleich in der Mancha geblieben und hat sich Miguel de
Cervantes Überlieferung der tragischen Heldengeschichten des Don Quijote
gewählt. Diesen Geschichten bin ich in meiner Kindheit in Form einer
Zeichentrick-Serie gefolgt. Während meiner Zeit in Madrid war ich mit Frank von
der Band Mägo de Oz zusammengekommen, einer in der spanisch-sprachigen Welt
berühmten Folk-Metal-Band, die mit einer modernen Version der Leyenda de la Mancha
1998 so richtig durchstarteten. War und bin ich ein Riesenfan von, auch
wenn ich zugeben muss, dass das aus zwei Büchern mit über 1200 Seiten
bestehende Werk von Cervantes bei mir im Regal verstaubt, da mich das
darin verwendete Altspanisch hat aussteigen lassen.
Nun hat man die Tabakwahl der Qual zwischen dem Rocinante, dem Cervantes
und dem Sancho Panza. In der Jugend hatte ich ein umgebautes und
selbstlackiertes Hollandrad, dass ich liebevoll nach erstgenanntem Tabak benannt
hatte, da es das etwas klapprige Streitross des tragischen Helden war.
Da der Name allein ja nicht Grund für diese Wahl gewesen sein kann, gibt
sicherlich Hans Beschreibung einen zusätzlichen Hinweis:
„Der Rocinante besticht durch seine süßen Virginias, denen reichlich Burley und
jeweils ein Hauch Perique und ein Hauch Kentucky beigemengt wurden. Diese
sorgfältig ausgesuchte Mischung lagerte zwei Jahre im Klimaraum bis sie ihr
abgerundetes Aroma entwickeln konnte. Der Rocinante überzeugt durch eine
unglaubliche Weichheit, eine extreme Fülle, die keineswegs überbordend
daherkommt, sondern sich in einem vollendetem Bouqet entlädt. Ein Bouqet, das in
seiner Gänze glänzt, ein Bouquet, in dem es nur Teamplayer gibt. Teamplayer, die
die perfekte Balance zwischen angenehmer Süße und nussiger Würze beherrschen.
Samtigkeit und Fülle verleihen ihm Tiefe, statt Einheitsgeschmack. Der Rocinante
überzeugt mit seinem wohl abgestimmten Geschmack bis zum letzten Zug.“
Perique, Bouquet, Weichheit, da bleibt mir keine andere Wahl als den
Burschen hier anzustechen.
Tabakbild
Nicht nur zwei Jahre im Kopp’schen Klimakasten, sondern auch noch zwei Jahre
im Tabakschrank durfte diese wirklich edel von Alexander Broy gestaltete Dose
auf das erste Tageslicht warten, sozusagen Reserve2. Da es eine Schande ist,
das Design durch „Wenn Sie das rauchen, werden Ihnen die Genitalien verkümmern,
Ihr Partner Sie verlassen und Ihre Kinder jung sterben.“-Aufkleber zu
verschandeln, gibt es unter dem Deckel noch einen schicken Ableger des
Dosenaufdrucks. Der Tabak ist mittelbraun, die helleren und dunkleren Stücke
gleichen sich ansonsten gut aus. Er wurde fein geschnitten nach der Pressung
hat teilweise noch bis zu 5cm längere Stücke, die aber beim Handling schnell
auseinanderfallen. Zum Ausgleich findet man auch einen Anteil kleine Krümel.
Der Tabak ist auf den Punkt optimal konditioniert.
Aus der offenen Dose springt dem geneigten Rauchholzjünger ein sehr heuiger,
leicht süßlicher Geruch mit einem etwas saurem Unterton entgegen, der etwas an
Pipi-Harnstoff erinnert. Das ist typisch bei lang gelagerten Tabaken, das Nikotin
zerfällt durch die magische Zutat Zeit zu Zucker und Ammoniak. In der Zigarren-
industrie riecht es in den Naves, in denen die „Burros“, die Tabakstapel fermentiert
werden, wie im Pferdestall, allerdings ohne den leckeren Latakia-Weihrauch…
Ganz im Hintergrund bzw. nach Verfliegen der „Fermentationsgase“, nenne ich sie
mal, kann man etwas erriechen, was mich tatsächlich an den eingetrockneten Rest
in einer Rotweinflasche oder den Angels Share in einer Brennerei erinnert. Kann
Fantasie sein, oder die Kombination des Periques mit dem Kentucky. Das Nussige
oder Schokoladige des Burley kommt mir hier nicht unter, macht vielleicht die
Süße aus.
Ab in die Pfeife…
Zu Stopfen ist der Tabak wirklich einfach, da er wie gesagt einmal zwischen den
Fingern gerollt schön zerfällt, man muss nicht befürchten, dass irgendwo dickere
Stücke Tabak rumblocken oder an der Wandung liegen. So kann man den Tabak
stopfen wie man mag, ich probiere ihn in einem oder in Portionen einzubringen.
Nummer | 1 | 2 | 3 |
Marke | Peterson | Oldenkott | Rattray‘s |
Bezeichnung | Donegal Rocky XL90 | Corona 822 | Butcher’s Boy 22 |
Typ | Full Bent | Quarter Bent Belgique | Straight Tomato |
Volumen | 9,5 cm³ | 10 cm³ | 7 cm³ |
mittleres | mittleres | kleineres | |
Durchmesser | 20 mm | 19 mm | 21 mm |
Filter | 9 mm Meerschaum | Ohne | 9 mm Meerschaum |
Tabakmenge | 3,4 g | 3,4 g | 2,9 g |
Packmethode | 1 „Rolle“ | Zwei Päckchen | 2x Reingelöffelt, locker obendrauf |
Nachfeuern | 1 | 4 | 1 |
Abbrand | gut | OK | flott |
Pfeifenkopf | kühl | heiß | heiß |
Glimmdauer | 1 h 13 min | 1 h 14 min | 52 min |
~ 26 min/g | ~ 22 min/g | ~ 18 min/g | |
Kondensat | wenig | Etwas mehr | Etwas mehr |
Durch die feine Struktur nimmt er das Feuer sehr gut an, kurz glattgestrichen,
nachzünden und kurze Zeit später geht es los. Der Geschmack ist vom Start weg
sehr vollmundig mit etwas Strenge, man schmeckt die Virginia-Basis, aber auf eine
„britische“ Art, also weniger Heu, eher malzig. Ab und zu sticht geschmacklich der
Burley hervor, den Perique schmecke ich eigentlich gar nicht. Er trägt mehr zum
Gesamteindruck bei, etwas Süße und Muffigkeit. Der Kentucky würzt nur etwas
und sorgt somit für eine Geschmacksfülle von leicht süß bis kernig britisch. Aber
alles ohne extrem zu sein. Also kein Heu, kein Lagerfeuer, keine Schokolade, keine
Rosinen, es ist eine Melange aus allen verwendeten Tabaken, die sich ergänzen.
Nur wird der Geschmack ständig von einer leichten Bitterkeit, einer Strenge
begleitet, die die Zunge tapeziert. Diese wird ansonsten maximal leicht gekitzelt,
und das nur wenn man auf einen Filter verzichtet. Manchmal gibt es einen mandel-
artigen Geschmack, den würde ich jetzt mal dem Burley andichten.
Die Glut will gut umsorgt sein, sonst nimmt die Rauchdichte merklich ab. Die
Asche ist sehr fein und reicht von weiß bis schwarz.
Nach einem Viertel der Rauchdauer wird der Geschmack holzig mit Säure, ein Fest
für Kentucky-Freunde, die es milder mögen. Sein Pflegebedürfnis lässt über den
Rauchverlauf nach und er schmeckt satt holzig, für mich könnte er etwas süßer ein.
Mit Filter ist er gut mittelstark, ohne Filter kann er zum Ende hin was stärker
werden, finde ich. Da ist er auch was schärfer und so voll, dass er schon fast
überladen wirkt. In der Raumluft verbreitet sich ein brotig warmer Geruch, der
für den Pfeifenraucher angenehm ist und mehr Süße offeriert als es der Geschmack
beim Rauchverlauf erwarten lässt.
Am Ende bleibt eine feine, im Schnitt hellgraue Asche zurück, die von einer
vollständigen Verbrennung des Tabaks zeugt, die Pfeife ist trocken und nicht
sonderlich versifft.
Resümee
Der Rocinante vermittelt für mich in der Tat den Geschmack eines gealterten
Tabaks. Wie ich auf so eine Hypothese komme? Ganz einfach, zeitgleich mit dem
Streitross habe ich eine 15 Jahre alte Dose Hal O‘ The Wynd verraucht und viele
Parallelen feststellen können, speziell was diese Komplexität und die begleitende
Strenge angeht, die dieser Rattrays in der frischen Version durch Süße ersetzt.
Qualitativ auf ganz hohem Niveau brauch sich niemand über die 16,90€ pro
50g-Dose beschweren, mittlerweile geht die Spanne bei den Rauchkräutern ja
in ungeahnte Höhen (Ja brauch man denn besonders viel Gas für die Produktion?
Oder kommt das Zeuch aus der Ukraine? Schutzzölle?).
Sein Abbrand ist sehr unterschiedlich, am besten schmeckte er mir mit Filter in der
Peterson, locker im Mundwinkel vor sich hin glimmend. Kleine Schnapperl in der
Filterlosen führten zum Nachfeuerwerk. Schneller geraucht schmeckt er auch, dann
gehen aber die süßeren Nuancen gänzlich verloren und er ist schnell abgebrannt.
In der „Schlachterjung“, flach und breit, war er ein Rohrkrepierer.
Empfehlen kann ich ihn allen Rauchern, die gerne das etwas Strengere mögen und
eine „smoothe“ Ergänzung zu Kentucky-forward Blends wie zum Beispiel den
Dark Moor mit hoher Komplexität suchen. Mir persönlich hat er zu wenig Perique,
es könnte mir fruchtiger und süßer sein und so bleibe ich eher bei meinen
eingelagerten Dosen vom HOTW, dem Marlin Flake oder dem Brown Clunee.
Bewertung:
Geschmacksintensität: Laue Luft / Nett, aber dünn / Ausgeglichen / Dicht / Überwältigend
Nicotin-Punch: Cola / Milchkaffee / Schwarzer Tee / Doppelter Espresso / Kaffeeinstantpulver mit dem Suppenlöffel
Aromatisierung: Taschentuch unparfümiert / Frisch gewaschene Wäsche / Kuchen im Backofen / Duftbaum / Teermaschine
Raumnote: Blümchen / Neue Ledergarnitur / Tabakfabrik / Wohnzimmer-Lagerfeuer / Scheidung
Zungenaggressivität: Glas Milch / Prickeln/kurzer Zungenstress / langzeitiger Zungenstress / kurzer Zungenbrand / langzeitiger Zungenbrand
Empfehlung: Besser nicht probieren / Kann man probieren / Sollte man probieren / Muss man probieren / Wer nicht probiert ist selber schuld